Das Erinnern ist ein großes Vergessen
Bewahrt unser Gedächtnis tatsächlich nur Ausschnitte, subjektive Wahrnehmungen einer „historischen“ Wahrheit auf, auch wenn es noch so akribisch arbeitet? Was ist dann das Erinnern? Eine Auswahl unserer Erfahrungen, die wir auch noch beim Erzählen transformieren, „eine Fälschung von vornherein“ also, wie Alois Hotschnig eine Figur in „Ludwigs Zimmer“ behaupten läßt? Steht Anna Mitgutschs Satz, daß „Erinnerungen das einzige“ sind, „was einem nicht verlorengehen“ kann, man dürfte sie „nur nicht ziehen lassen“, dazu im Gegensatz? Erinnern und Vergessen – Koordinaten, zwischen denen sich nicht nur, sondern auch Literatur bewegt. Bei der Produktion von erzählenden Texten ist Erinnerung ein wichtiges Element, stellt Bilder zur Verfügung. Der schöpferische Prozeß verknüpft sie zu Geschichten, verarbeitet sie sprachlich-formal weiter, läßt neue Bedeutungen entstehen. Was aber können in einer verwandelten Realität Fotos, Briefe, Aufzeichnungen noch für einen Wahrheitsgehalt haben? Sind sie nicht „Momentaufnahmen, die zusammen eine große Lüge ergeben“? Welcher Glaubwürdigkeit sollen sie dienen? An fünf Abenden bietet die Literatur-Werkstatt mit Ilse Gottschall die Möglichkeit, Texte zeitgenössischer Autoren, wie G. Sebald, Marcel Beyer, Monika Maron, Vladimir Vertlib u.a. kennenzulernen, sich mit dem „besonderen Gedächtnis“ der Figuren auseinanderzusetzen und Lese-Erfahrungen zum Thema „Erinnern“ auszutauschen. Ilse Gottschall, geboren 1936 in Königsberg, Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft in Köln, Journalistik und Kunstgeschichte in München, Promotion. Arbeit am Goethe-Institut und als freie Mitarbeiterin beim ORF, zuletzt Lehrtätigkeit, seit 1977 Wahlsalzburgerin.
Anmeldung: Literaturforum Leselampe, Strubergasse 23, 5020 Salzburg, Tel 42 27 81-17, Fax -27
Mo 08. Oktober 2001, 19:30 Uhr | |
Literaturhaus Salzburg | |
Erste Lektüren
„Was man früh gelesen hat, löst sich oft seltsam auf. Es bleibt nicht im Buch, hat auch keinen davor, der es erst geschrieben hat. Man ist als Kind mit Haut und Haaren hier durchgewandert, ohne Sinn für Worte; man nahm sie gar nicht wahr. Hat so gelesen, wie man jetzt einen spannenden Film sieht, war an ein altes Bildersehen angeschlossen. Da man noch kein Ich war oder nur zuweilen, brauchte man auch keinen Helden, das kam erst später.“ Ernst Bloch, Das Wirtshaus im Spessart
In SALZ Erste Lektüren rufen sich Autor:innen in Erinnerung, was es bedeutet, die Welt der Bücher zu entdecken, ein Buch das erste Mal aufzuschlagen. Sei es ein ...
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