Geschwisterbande
„Was unterscheidet Geschwister von wilden Indianerstämmen?“, fragt Kurt Tucholsky in einer seiner Satiren und antwortet: „Indianer sind entweder auf Kriegspfad oder rauchen Friedenspfeife – Geschwister können gleichzeitig beides.“ Es gibt keine gleichgültigen Geschwisterbeziehungen, denn Brüder und Schwestern suchen wir uns nicht aus – wie etwa Freunde –, wir bekommen sie zugeteilt, lebenslänglich. Seit Kain seinen Bruder Abel erschlug, sind Geschwister und ihre Beziehung zueinander in der schriftlichen Überlieferung fest verankert. Von Josef, den seine Brüder verkauften, über Kastor und Pollux, über Kassandra und ihre Geschwister spannt sich der Bogen, zeigt schon in der Antike ganz verschiedenartige Geschwisterbeziehungen auf, die als Motiv in der Literatur immer wiederkehren. Während es unzählige Brüdergeschichten in der Literatur gibt, bei denen meist die Rivalität im Vordergrund steht, finden sich weit weniger Erzählungen von Schwestern, und wenn, folgen sie meist dem Muster traditioneller Weiblichkeitsvorstellung oder dem einfachen Schema von Gut und Böse. Erst in neuerer Zeit werden auch andere Aspekte wahrgenommen, die sich nicht nur aus der natürlichen Rangordnung der Geschwister ergeben können, sondern auch aus dem Verhalten der Eltern, aus ihren Projektionen, ihrer Erwartungshaltung. Zugleich lassen sich aus den Darstellungen Rückschlüsse ziehen auf das gesellschaftliche Rollenverständnis und das Frauenbild. Beim Literaturfrühstück – wie immer bei Kaffee und Gebäck – wird Ilse Gottschall – Leiterin der „Literaturwerkstatt“ im Rahmen der „Leselampe“ – anhand von exemplarischen Textbeispielen einen Blick auf das alte, immer wieder neue Thema Geschwister werfen.
Do 02. Oktober 2003, 10:30 Uhr | |
Literaturhaus Salzburg | |
Erste Lektüren
„Was man früh gelesen hat, löst sich oft seltsam auf. Es bleibt nicht im Buch, hat auch keinen davor, der es erst geschrieben hat. Man ist als Kind mit Haut und Haaren hier durchgewandert, ohne Sinn für Worte; man nahm sie gar nicht wahr. Hat so gelesen, wie man jetzt einen spannenden Film sieht, war an ein altes Bildersehen angeschlossen. Da man noch kein Ich war oder nur zuweilen, brauchte man auch keinen Helden, das kam erst später.“ Ernst Bloch, Das Wirtshaus im Spessart
In SALZ Erste Lektüren rufen sich Autor:innen in Erinnerung, was es bedeutet, die Welt der Bücher zu entdecken, ein Buch das erste Mal aufzuschlagen. Sei es ein ...
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