Lesung

Wilhelm Genazino

Die Obdachlosigkeit der Fische

„Es kann andere nur verstehen, wer sich zuvor ausreichend mit sich selbst verständigt hat“, sagt Wilhelm Genazino in seiner Rede beim Empfang des Bremer Literaturpreises 1990. In seinem 1994 bei Rowohlt erschienenen Prosaband „Die Obdachlosigkeit der Fische“ sprengt der Prozeß der Kommunikation mit sich selbst die Geschlechtergrenzen. Erzählendes Subjekt ist eine Frau, von Beruf Lehrerin, Mitte vierzig. Sie erinnert sich an das Scheitern einer Jugendliebe, vergewissert sich der abgekühlten Beziehung zum Partner, stellt fest, daß sie den Bezug zur eigenen Geschichte allmählich verliert. Das lebendige Kind, das sie einmal war, rückt in eine unerreichbare Ferne. Aufgrund des fortschreitenden Verlustes eines Lebenszusammenhangs bekommt die Wahrnehmung des Moments größte Bedeutung. In ihm findet die Erzählerin die Freiheit einer geradezu euphorischen, illusionslosen Klarheit.

Mo 06. März 1995, 20:00 Uhr
Literaturhaus Salzburg