Gerhard Bolaender
KörperbrennenDer Krieg ist hierorts bildschirmvermittelt, Gewalt ist ein TV-Ereignis in zahllosen Variationen, ein Dauerreiz für die Schnittstelle Monitor-Mensch, der Abwesende ist eingeschaltet in das Geschehen. Und nebenan: Die Fortsetzung der Zerstörung mit anderen Mitteln, die in den Körper dringt, ihn zur Überlebensmaschine umfunktioniert: „Zeitschinden, Weiterlügen der öffentlichen Rede. Dies ist das Wissen, dies ist die Meinung, dies das Dabeisein, Messen, dies ist die Seitenscheibe, Abwesenheit, das Glück auf Vergessen.“ Gerhard Bolaenders Prosadebüt (Residenz Verlag, 1995) stellt dem Bilderwahn, der blind machenden Visualisierung des Schmerzes das Hinhören auf die Gequälten entgegen. In einer besessenen, genau rhythmisierten Sprache zwingt der Autor den Leser/die Leserin, dem Strom gewalttätiger Ereignisse zuzuhören. Der Widerstand wird zur Stimme, zum offenen Widerspruch. Bolaenders neuer Text ist ein Akt gegen die Apathie einer tauben Gegenwart, er ist ansteckend im besten Sinn des Wortes.
Mo 20. Februar 1995, 20:00 Uhr | |
Literaturhaus Salzburg | |
Erste Lektüren
„Was man früh gelesen hat, löst sich oft seltsam auf. Es bleibt nicht im Buch, hat auch keinen davor, der es erst geschrieben hat. Man ist als Kind mit Haut und Haaren hier durchgewandert, ohne Sinn für Worte; man nahm sie gar nicht wahr. Hat so gelesen, wie man jetzt einen spannenden Film sieht, war an ein altes Bildersehen angeschlossen. Da man noch kein Ich war oder nur zuweilen, brauchte man auch keinen Helden, das kam erst später.“ Ernst Bloch, Das Wirtshaus im Spessart
In SALZ Erste Lektüren rufen sich Autor:innen in Erinnerung, was es bedeutet, die Welt der Bücher zu entdecken, ein Buch das erste Mal aufzuschlagen. Sei es ein ...
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